Wie finde ich in den kreativen Flow? Interview mit Soham, Teil 2
In Teil 1 des Wortezauber-Interviews hatte Soham bereits Tipps gegeben, wie du Ruhe im hektischen Alltag finden kannst. In Teil 2 erfährst du, warum das Ego der Gipfel des Nichtkreativseins ist und warum es sich lohnt, lieber auf das zu schauen, was du wirklich bist: reine Kreativität.
HINWEIS: Das Interview mit Soham haben wir per Videoschalte geführt. Die Leseversion im Folgenden ist ein Transkript des Videos.
Rohita: Machst du eine Unterscheidung zwischen „Das dient der Welt“ und „Das eher nicht“? Also ist alles gleichberechtigt gut, was ich in die Welt bringe. Oder würdest du sagen es gibt einen Unterschied zwischen dem was dem Leben dient und was sinnvoll ist?
Soham: Nun ja, das ist ein Riesen Problem, weil jeder die Welt retten will. Aber niemand möchte sich selbst retten. „Oh, ich liebe die ganze Welt“, „wie ist die Beziehung zu deinem Partner?“, „wie ist deine Beziehung zu deinen Eltern, deinen Kindern?“ „Oh, die ist nicht so gut“. Ja, die Welt – das ist einfach. Dies ist die Welt. Die Welt sind die Menschen, die mir am nächsten stehen, und ich bin derjenige, der mir am nächsten ist. Also, wenn ich nicht mit mir zufrieden bin und in Harmonie bin, wie soll ich dann Frieden in die Welt bringen? Das ist nicht möglich. Es muss hier beginnen, hier beginnt der Weltfrieden. Hier beginnt die Transformation der Welt. Es muss in jedem einzelnen von uns anfangen. Aber wir sind nicht allein.
Wir sind Teil einer großen Gemeinschaft. Die ganze Welt wacht auf – nun ja, lass es mich so sagen: Die halbe Welt wacht auf, und die andere Hälfte bekämpft es. Das ist okay. Es liegt an uns, uns mit denen zu verbinden, die bewusst erwachen, und sich keine Sorgen um die zu machen, die nicht aufwachen. Die meisten Leute wollen sich auf etwas schlechtes konzentrieren. Wir suchen Fehler bei anderen Leuten. Wenn ich Fehler bei anderen entdecke, fühle ich mich gut, denn „im Vergleich zu diesem Idioten bin ich cool“. Aber das Problem ist: Wenn ich meine Aufmerksamkeit darauf richte – auf Personen mit Fehlern – nehme ich wiederum Fehler auf. Wenn ich die Aufmerksamkeit auf einen Heiligen richte, nehmen ich die Qualitäten des Heiligen auf. Das ist das Geheimnis, das die Gurus uns lehren möchten. Das ist das Allerwichtigste, was wir je wissen können. Also, wenn wir kontinuierlich unsere Aufmerksamkeit auf diejenigen richten, die frei von Ego sind, dann verliert unser Ego langsam seine Macht, und unsere pure Seele erlangt Macht. Das geschieht automatisch. Wir beginnen, unsere eigenen Fehler zu sehen, wenn wir damit aufhören, die Fehler anderer zu sehen. Und wenn ich meine eigenen Fehler sehe, dann fallen sie einfach weg, weil sie dumm sind. Niemand will dumm sein.
Rohita: Das ist interessant was du sagst, weil es das auch schon vorweg greift, was ich dich eigentlich als nächstes fragen wollte: Mein Eindruck ist, dass die letzten Jahre sehr viel nach außen geschaut wurde; nach Status und nach materiellen Dingen, egoistische Dinge. Ich glaube, gerade heute ist die Zeit, in der wir merken, eigentlich sind auch andere Dinge wichtig, wie vielleicht Gemeinschaft oder Mitgefühl. Und du hast es gerade schon gesagt: Ist es dann der Weg, mich immer wieder dem zuzuwenden, aus dem ich diese Inspiration rausbekomme und eben nicht auf diese Fehler zu konzentrieren?
Soham: Was auch wichtig ist – nun ja, lass es mich so formulieren – was ist wichtig? Ich werde 80 Jahre alt, also dieses Leben kommt offensichtlich zum Ende: Wie lange auch immer es noch dauert, es wird nicht sehr lange sein. Der Großteil ist schon vorüber. Was bedeutet das? Das bedeutet, dass all die Sachen, die wir normalerweise als wichtig erachten, schon vorbei sind. Wenn man in meinem Alter ist, dann ist es so, als hat man schon viele Leben gehabt. Ich habe im Moment nicht wirklich mehr eine Verbindung zu irgendjemanden in Amerika. Und das ist meine ganze Welt. Alles, was ich als wichtig gehalten habe, ist bereits fort. Wenn dieser Körper stirbt, ist alles andere fort. Es ist weg. Also, wie wichtig ist es? Total unbewusst muss ich denken, dass es wichtig ist was andere über mich denken. Oder wie viel Status ich habe, wie viel Geld ich habe, wie viele Sachen ich habe. Und all das ist so temporär, sie sind innerhalb eines Wimpernschlages weg.
Je mehr du in Einklang mit dem Moment kommst, desto mehr realisierst du „Hey, das ist nicht das erste Leben, das ich gelebt habe“. Hier und da erlebst du einen Moment „Oh, zu einer anderen Zeit war ich eine andere Person!“. Also, diese Person wird auch vergessen sein. All diese Personen sind vergessen. Sie sind nicht real, sie sind nur temporär. Erst dann beginnen wir den Dingen, die langwieriger sind, mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Und das ist das, was von Körper zu Körper wandert. Wir nennen es Seele. Es ist der Teil Gottes, der in Form des menschlichen Körpers verfügbar ist. Wir kommen in einem menschlichen Körper, um zu erkennen, dass wir ein Teil Gottes sind. Dies kann nur in der menschlichen Inkarnation passieren, das ist der Gipfel der Kreativität, das ist der höchste Punkt der Meditation; diese Selbsterkenntnis, diese Befreiung. Ego ist das Gegenteil. Ego ist die Vorstellung, dass ich jemand bin, der von Gott getrennt ist. Ego ist der Glaube, dass ich dieser Körper bin, und diese Leute in meinem Leben separat sind, und auch real sind als separate Wesenseinheiten. Wenn du die meisten Menschen fragst, glauben sie, sie seien eine separate Wesenseinheit. Selbst in unseren Science-Fiction Romanen sprechen wir von Wesenseinheiten. Ich bin kein eigenständiges Wesen, oder meine Einheit, meine Tatsächlichkeit ist nur reines Bewusstsein – man könnte auch sagen, reine Kreativität.
Rohita: Danke! Ich überlege gerade, welche Frage ich als nächstes Stelle, weil mich das gerade sehr berührt hat. Vielleicht diese: Das heißt, im Grunde ist doch das, was du gerade beschrieben hast, auch das, wo ich am höchsten authentisch bin, oder? Hab ich dich richtig verstanden?
Soham: Lass mich mal schauen, ob ich deine Frage verstanden habe.
Rohita: Naja, du hattest den Unterschied beschrieben zwischen Ego, wo ich etwas nach meinem Willen machen will und wo ich vielleicht eine Meinung habe oder irgendwas in die Welt gebe. Aber dann hattest du auch beschrieben, dass ich quasi Teil von Gott bin, keine eigenständige Einheit bin.
Soham: Das Ego ist der Gipfel des Nichtkreativseins. Das Ego entbehrt jeglicher Kreativität. Das Ego ist so langweilig, so wiederholend, so roboterhaft, dass man darüber nur weinen kann. Wenn wir in unserer Kreativität sind, ist da keine Vorstellung dessen, wer ich bin. Ich meine, wir sprechen über das Schreiben als eine kreative Aktivität. Es ist so eine große Freude, mit Worten zu spielen. Aber es ist die Freude, die real ist, nicht die Worte. Es ist die Freude hinter den Worten, das Spielerische der Worte. Das ist das, was lebendig ist, das ist das, was kreativ ist. Die Worte selber können wir in jedem Wörterbuch finden. Dort sind sie nicht sehr lebendig.
Bleib dran: In Teil 3 erfährst du mehr über die Freude am Schreiben und die Macht der Worte. Und falls du Teil 1 verpasst hast: Hier spricht Soham darüber, wie du Ruhe im hektischen Alltag findest.
INFO: Soham ist ein spiritueller Meister und wurde 1941 in San Francisco geboren. In frühen Jahren wurde er ein Schüler Oshos. Seit 1998 gibt Samarpan in Deutschland, Österreich und der Schweiz Satsang. Mehr Infos unter soham.one.