Die Heldenreise Teil 1: Auf dem Weg zum Abenteuer deines Lebens
Wenn du Heldenreise hörst, denkst du an Helden aus Büchern, Mythen, Märchen, Hollywoodfilmen. Und du meinst, sie haben nichts mit dir zu tun? Lass dich überraschen, ob du mit der Ansicht richtig liegst. Die Heldenreise ist mehr als nur die Abenteuerfahrt deiner Lieblingsfigur im Kino. Sie ist eines der ältesten Erzählmotive der Welt. Auf ihr basieren nahezu alle erfolgreichen Geschichten. Und warum sie dich bewegen, liegt daran, dass sie etwas in dir zum Klingen bringen, das dir vertraut ist und das du kennst. Die Heldenreise ist viel näher an dir dran, als du denkst. Und wie du sie für dich, deine Präsentationen, Coachings und dein Marketing erfolgreich nutzen kannst, erfährst du hier.
Was ist die Heldenreise?
Die Heldenreise ist ein narratives Grundmuster. Ein Werkzeug des Storytellings*. Vor allem der amerikanische Mythenforscher Joseph Campbell hat Ihre Struktur und Motive erforscht. Er hat Geschichten der unterschiedlichsten Naturvölker verglichen und herausgefunden, dass sie alle ähnliche Situationsabfolgen (Urbilder) enthalten, die universell (also kulturübergreifend und zeitunabhängig) gültig sind. Im Grund geht es um Veränderung und das Erklären psychologischer, sozialer, kosmologischer oder spiritueller Realitäten. Anders ausgedrückt: Die Heldenreise ist ein Grundmuster für Geschichten, das Menschen verstehen und aus dem sie lernen können.
Das narrative Gedächtnis denkt in Geschichten
Das bekommt eine noch größere Relevanz, wenn man Erkenntnisse der Psychologie und Hirnforschung mit einbezieht: Die Psychologen teilen das Gedächtnis in zwei Hälften – in ein analytisches und in ein biografisches. Das analytische Gedächtnis ist zuständig für Zahlen und Fakten. Das biografische (oder auch: narrative) Gedächtnis kommt zum Zug, wenn wir Entscheidungen treffen müssen. Es verknüpft Erlebnisse mit Emotionen und speichert Erfahrungen quasi in Geschichten ab. Bei nächster Gelegenheit greift es darauf zurück – diese „Erzählmuster“ bestimmen unsere Wahrnehmung sowie aktuelle und zukünftige Handlungen. Gregor Adamczyk beschreibt das so: „Wir erzählen uns selbst und in der Interaktion mit anderen andauernd unser Leben.“ Erzählungen können unserem Verhalten auch eine neue Richtung geben. Aus der Hirnforschung ist dazu bekannt, dass das Gehirn Informationen vereinfacht – wie bei einem Song, der ein komplexes Thema (die Liebe) auf wenige Zeilen herunter bricht („verlass’ mich nicht“, „ich liebe Dich“). Und spätestens seit Professor Hüther wissen wir, dass „was einem nicht unter die Haut geht, was man nicht fühlt, man eben auch schlechter [lernt].“ Deswegen ist das Erzählen in Geschichten das effektivste Kommunikationsmittel, das uns zur Verfügung steht!
Storytelling: Die zwölf Stufen der Heldenreise
Joseph Campbell hat zwölf Stufen der Heldenreise ausgemacht, die – je nach Quelle – etwas anders bezeichnet oder zugeordnet werden. Am Beispiel des Films Matrix zeige ich dir die einzelnen Etappen – sei aufmerksam, an welchen Stellen dein Herz höher schlägt und du dich selbst erkennst.
Jospeph Campbell:
„Das Privileg Deines Lebens ist es, Du selbst zu sein.“
Stufe 1: Die gewohnte Welt
Neo befindet sich in seiner Wohnung. Er ist vor seinem Computer eingeschlafen. (Matrix 6:39)
Ausgangspunkt der Heldenreise ist immer die gewohnte Welt: Hier gibt es keine Überraschungen. Sie ist der Ist-Zustand und bestimmt von Routinen: wo du lebst, wie du den Tag beginnst, wann du zur Arbeit gehst usw. Die gewohnte Welt ist eine Welt des Mangels. Denn so friedlich und perfekt das Leben auch zu sein scheint: Irgendetwas fehlt! Unter der heilen Fassade versteckt sich ein Unbehagen. Kommt dir das bekannt vor?
Stufe 2: Der Ruf zum Abenteuer
„Wach’ auf, Neo. […] Folge dem weißen Kaninchen …“, erscheint auf Neos Monitor. Und er versteht die Welt nicht mehr. Aber seine Neugierde ist geweckt. Und als es an der Tür klopft und er das weiße Kaninchen-Tattoo auf der Schulter einer der Besucher sieht, folgt er ihnen in den Klub. Dort trifft Neo auf Trinity, und mit einem Mal wird ihm bestätigt, was er lange gefühlt hat: die Matrix existiert – seine Realität gerät ins Wanken.(Matrix ab 7:05)
Die zweite Stufe der Heldenreise ist, wie Svenja Walter schreibt, der unverstellte Blick auf das, was ist bzw. sein könnte. Es passiert etwas Unerwartetes – die Lüge wird entlarvt: Du erfährst, dass dein Mann eine Affäre hat. Dein Chef kündigt dir den Job oder, oder, oder. Es stellt deine Welt auf den Kopf. Aber du spürst tief in dir, dass das, was bisher war, inzwischen gewissermaßen eine Illusion war. Dass dein flaues Gefühl dich nicht getäuscht hat. Und du bekommst eine Ahnung, dass da draußen noch etwas anderes auf dich wartet. Du kannst es nur noch nicht fassen, denn du bist zu durcheinander, um klar zu sehen. Allerdings: Deine gewohnte Welt zu verlassen bedeutet auch, alles aufzugeben, das dir lieb und teuer ist. Das macht Angst. Und deswegen: verweigert der Held erst mal seinen Ruf.
Stufe 3: Die Verweigerung des Rufs
„Entweder Sie sitzen pünktlich an Ihrem Platz, oder Sie machen sich auf die Suche nach einem neuen Job.“ Neos Chef toleriert dessen Verhalten nicht. Er macht ihm Druck. Zurück am Platz wird Neo ein Handy zugespielt, Agenten suchen nach ihm, und Neo bietet sich die Gelegenheit, in die Freiheit zu entfliehen. Doch er macht einen Rückzieher und lässt sich lieber in Handschellen abführen. (Matrix ab 12’43)
Du willst es vielleicht doch noch mal mit deinem Mann versuchen, redest mit deinem Chef. Du hangelst dich an jeden Strohhalm, der dir geboten wird, nur damit du der offensichtlichen Wahrheit nicht ins Gesicht blicken musst. Die Angst (dein Ego) lähmt dich und die sogenannten „Schwellenhüter“ bestärken deine Zweifel. Freunde bedenken: „Das würde ich mir aber gut überlegen.“ Deine Mutter warnt: „Du bist doch viel zu alt, um neu anzufangen …“ Ich wette, dir fällt bestimmt jemand ein! All diese Stimmen wollen nicht, dass du gehst und glücklich bist. Sie versuchen deshalb, dich mit aller Macht abzuhalten. Auch dein innerer Kritiker meldet sich zu Wort, flüstert dir ins Ohr, wie ganz und gar unmöglich Dein Vorhaben ist. Und dass du es nicht schaffen wirst. Aber die Verweigerung des Rufs führt nur dazu, dass du unglücklicher und unzufriedener wirst. Das ungute Gefühl lässt sich nicht abschalten. Und das einzige, das du jetzt tun kannst, ist: Das Abenteuer aus tiefstem Herzen zu bejahen. Die gute Nachricht ist: Du musst da nicht allein durch – dafür bekommst du Unterstützung!
Joseph Campbell:
„Wir müssen bereit sein, das Leben, das wir geplant hatten, aufzugeben, um das Leben zu bekommen, das auf uns wartet.“
Stufe 4: Begegnung mit dem Mentor
Neo trifft Morpheus in einem abgelegenen Haus – er stellt Neo vor die wichtigste Wahl: „Möchtest Du wissen, was genau [die Matrix] ist? […] Es ist eine Scheinwelt, die man Dir vorgaukelt, um Dich von der Wahrheit abzuhalten. […] Dies ist Deine letzte Chance – danach gibt es kein zurück! Schluckst Du die blaue Kapsel, ist alles aus. Du wachst in Deinem Bett auf und glaubst an das, was Du glauben willst. Schluckst Du die rote Kapsel, bleibst Du im Wunderland, und ich führe Dich in die tiefsten Tiefen des Kaninchenbaus. Bedenke: Alles, was ich Dir anbiete, ist die Wahrheit. Nicht mehr.“ (Matrix ab 25’44)
Der Mentor ist derjenige, der das, was dir bevorsteht, bereits gemeistert hat oder zumindest eine Ahnung hat, wie es funktioniert. Er repräsentiert den Teil, der deine Lage einschätzen kann und weiß, wie du das Abenteuer bestehen kannst. Er gibt dir wichtige Hinweise und hilft dir, dich deiner inneren Führung anzuvertrauen. Du erkennst ihn daran, dass er wahrhaft deine Freiheit möchte. In deinem Leben ist der Mentor vielleicht ein Coach, ein Partner, ein spiritueller Lehrer, deine Schwester oder eine Tante. Der Mentor möchte ganz und gar, dass du das Beste in dir entfaltest und dein volles Potenzial entwickelst. Er stattet dich deswegen freiwillig mit dem nötigen Wissen aus und hilft dir maßgeblich dabei, deine Fähigkeiten zu entwickeln. Aber wie Morpheus so schön sagt: „Ich kann Dir die Tür nur zeigen, durchgehen musst Du allein.“
Stufe 5: Aufbruch in die neue Welt
Neo schluckt die rote „Wahrheitspille“ und wird aus der Matrix befreit. (Matrix 39’36)
Es kommt der erste Wendepunkt in der Geschichte, der Moment, in dem du tatsächlich handelst. Damit läutest du einen Prozess ein, der sich nicht mehr umkehren lässt – bisher war da nur eine Idee oder ein Traum. Jetzt ist es Realität. Du hast die Schwelle überschritten: Du hast die neue Wohnung zugesagt oder den neuen Job. In jedem Fall ist die Veränderung nun amtlich und die neue Welt komplett ungewohnt. Die notwendigen Talente, die du dafür brauchst, hast du noch nicht ausgebildet. Du stehst unsicher in dieser neuen Welt, aber du hast den ersten Schritt getan.
Stufe 6: Prüfungen, Verbündete und Feinde
Neo lernt Trinity und das Team um Morpheus kennen, die ihn kurieren, ausbilden und mit der neuen Welt vertraut machen. Cypher, ein Mitglied der Crew, ist eifersüchtig auf Neo. Er hat das Leben auf der Nebuchadnezza (dem Luftkissenfahrzeug, auf dem sie sich befinden) satt und beschließt, Morpheus zu verraten. (Matrix ab 35’09)
In der neuen Welt lernst du neue Menschen kennen. Sie werden sich als deine Freunde oder als deine Feinde herausstellen. Möglicherweise gibt es auch Mitspieler, die erst das eine und dann das andere sind. In jedem Fall wird dein Handeln Wellen und Irritation hervorrufen. Menschen in der neuen (und der alten) Welt fühlen sich unter Umständen durch dich bedroht. Du wirst Erfahrungen machen und Bewährungsproben bestehen. Vielleicht läufst du denjenigen über den Weg, die dir bisher am meisten zu Schaffen gemacht haben. Dein neuer Vorgesetzter sägt an deinem Stuhl, weil er seinen Posten in Gefahr sieht. Die Schwierigkeit der Stufe sechs: Du musst selbst noch experimentieren und herausfinden, wie du deine Talente am besten einsetzt. Du wirst auch deinem größten Antagonisten begegnen (in Neos Fall Agent Mr. Smith), der alles daran setzt, um dich zu stoppen. In Stufe 6 fängst du an, dein Potenzial zu entfalten und immer mehr du selbst zu sein. Du lernst die Regeln der neuen Welt. Und je besser du sie lernst, umso besser bist du für dein Abenteuer und die alles entscheidende Prüfung gewappnet!
Du hast viel geschafft bis hierhin. Aber du ahnst, dass es damit noch nicht getan ist? Genau: Der Feind ist noch nicht besiegt, die Prinzessin nicht befreit, das Gleichgewicht nicht wiederhergestellt.
*Storytelling bedeutet nicht, unwichtiges Geschwafel oder einen Schwank aus Deiner Jugend zum Besten zu geben. Storytelling ist Erzählkunst. Und „eine gute Erzählung,“ so Gregor Adamczyk, „vermittelt nicht nur Erfahrungen und stiftet Sinn, sie setzt auf starke Reize und löst damit emotionale Reaktionen aus.“
Mach die Welt mit Deiner Erzählung ein bisschen besser!
Quellen und Tipps zum Thema Heldenreise und Storytelling:
Gregor Adanczyk: Storytelling. Mit Geschichten überzeugen. (Buch)
Svenja Walter: Die Heldenreise. (E-Book)
Die Heldenreise nach Joseph Campbell (Video)
Joseph Campbell: Der Heros in tausend Gestalten. (Buch)